Abschließender Bericht FC Hansa Rostock – FC St. Pauli (Volker Goll, KOS)

Logo KOS (Koordinationsstelle Fanprojekte)2.11.2009, Hansa Rostock – FC St. Pauli (0:2)

Bericht: Volker Goll (KOS) in Abstimmung mit Kolleginnen und Kollegen des Fanladen/Fanprojekt St. Pauli und Fanprojekt Rostock, mit deren ich die ganze Zeit in persönlichem oder telefonischen Kontakt stand. Alle geschilderten Geschehnisse habe ich selbst gesehen/erlebt bzw. die Quelle der Information/Einschätzung genannt.

Ankunft St. Pauli Fans

18:10 Uhr, der erste Zug mit ca. 800 St. Paulifans (StP) erreicht den S-Bahnsteig „Parkstrasse“. Zwei Scheiben gingen wohl wegen Bewurf von außen zu Bruch. Eine konnte direkt beim Halt in HRO gewechselt werden, die andere wurde geklebt, so dass auf der Rückfahrt keine Beeinträchtigung vorlag – so die Info vom Fanprojekt/Fanladen-Kollegen. Zwischen Bahnhof Rostock und Haltestelle Parkstrasse: viel Pyro, Leuchtspur, unklar, ob Richtung Zug oder aus dem Zug oder beides, was am mir am wahrscheinlichsten schien.

Die Polizei hatte übrigens die ca. 30 StP-Fans, die aus Rostock kamen und sich den Gästen anschließen wollten, ohne Probleme auf den Bahnsteig gelassen. Der sehr lange Bahnsteig bot Platz für über 3.000 Menschen. Links und rechts neben den Gleisen, in den Hinterhöfen und an einer angrenzenden Straße komplette Sicherung durch die Polizei, damit niemand (wie beim letzten Mal) an die Gästeanhänger herankam. Der Bahnsteig war mit Anti-St. Pauli-Aufkleber (offenbar eine Nacht zuvor?) präpariert worden („Scheiß St. Pauli“, „Lauf Wessi lauf“ und „St. Pauli vernichten“ usw..). Die ca. 800 StP-Fans warten vor dem mit Polizei gesicherten Aufgang auf den zweiten Zug. Ca. 18:30 Uhr trifft dieser ein (ca. 600 Reisende) und alle gehen zusammen los. Sehr viel Glasflaschen im Zug, auf dem Bahnsteig und viele werden auch mitgeführt.

Geleit der Gästefans zum Stadion

Vom Bahnsteig geht es direkt auf die Kreuzung (Karl-Marx-Str.) und die Schillingallee entlang zum Stadion, abgeschirmt von starken Polizeikräften, hinten dran zwei Wasserwerfer. Seitlich gehen die Polizeiketten sehr aufgelockert, es wird netterweise akzeptiert, dass viele StP-Fans rechts oder links ausscheren, um Wasser zu lassen. Nur die Seitenstraßen sind konsequent gesperrt. Auf dem Weg zünden einige Gästeanhänger eine ganze Menge an Pyro, Rauch und Böller – nicht zielgerichtet gegen Polizei oder Gebäude, sondern einfach so – was viele Mitlaufende nervt, Sprechchöre dagegen sind aber nicht sehr laut. (Pers. Bemerkung: Ich erinnere mich noch gut daran, dass den Hansafans beim letzten Spiel in Hamburg bei derartigem Zündeln von der Hamburger Polizei nicht mit soviel Gelassenheit begegnet wurde.)

Ankunft Gästeeingang und Einlass

Gegen 19 Uhr erreicht der StP-Anhang den Gästeeingang am Stadion an der Eishalle. Der seitlich daneben liegende Heimfan-Eingang für die Südtribüne, wurde hinter der Eishalle (am Waldrand) abgesperrt und erst freigegeben, nachdem alle StP-Fans direkt auf dem großen abgesperrten Vorplatz vor dem letzten Stadionzaun am Eingang standen. Ansonsten wäre es zu den früher üblichen Aktionen gekommen, weil nur ein Zaun die beiden Eingänge trennt – mit Sichtschutz zwar, aber das darüber werfen von Gegenständen könnte er nicht verhindern. Zur Begrüßung der StP-Fans, des dort anwesenden StP-Sicherheitsbeauftragten (S. Brux), des St. Pauli-Fanbeauftragten und des Vertreters des Fanprojektes war Hansa-Sicherheitschef Hübner anwesend, sowie ein Gästebetreuer von Rostock. Alles verlief sehr kooperativ und ruhig ab. Das Gästefanbetreuungsteam wurde sehr freundlich durch einen Nebeneingang gebeten, was eine stets schnelle Bewegungsfreiheit garantierte. Auch Herr Rieck machte sich als
Spielbeobachter des DFB ein Bild von der Einlasssituation.

Unklare Auseinandersetzung neben der Eishalle

Gegen 19:30 Uhr eilten fast alle im Gästebereich befindlichen Polizeikräfte nach draußen, Richtung Waldrand/Eissporthalle, wo es zwischen Hansafans, die Richtung Gäste wollen, und der Polizei, die das verhindert, zu einer heftigen Auseinandersetzung mit sichtbaren Verletzten auf beiden Seiten kommt, so die Info eines Ordners. Nach Aussage eines FP Rostock Mitarbeiters, der vor Ort war, handelte es sich seiner Beobachtung nach keineswegs um einen Versuch Richtung Gästefans zu gelangen. Vielmehr hätten sich an der polizeilichen Absperrung des gewohnten Heimeingangs immer mehr Menschen gesammelt, ca. 1.000. Der Anpfiff rückte zeitlich näher, es war keine Beleuchtung dort, zudem gab es keinerlei Informationen oder gar Durchsagen. Dies führte zu einer gewissen Aufregung, der auf der einen Seite durch die Polizei relativ barsch begegnet wurde und auf der anderen Seite eine Gruppe gewaltgeneigte Rostocker dazu nutzte, die Polizei zu attackieren. Dabei flogen verschiedene Gegenstände aus den hinteren Reihen, u. a. Feuerwerkskörper, Böller, Steine etc. Diesen trafen in diesem Chaos vor allem auch andere Hansafans. Die Polizei reagierte mit Schlagstock und bei dieser sehr unübersichtlichen Situation konnten sich viele Unbeteiligte, die da ja nur auf den Einlass warteten, nicht mehr in Sicherheit bringen. Mehrere Fußballbesucher hatten sichtbare Platzwunden nach dieser Auseinandersetzung – so jedenfalls die Schilderung des Rostocker Kollegen.

Kurz vor Anpfiff waren alle Gäste im Stadion

Die letzten StP-Fans kamen ganz knapp vor Anpfiff rein. Durch fünf Tore wurden sie reingelassen, drinnen standen 13 männliche Ordner und vier weibliche Ordnerinnen bereit, um die Durchsuchung vorzunehmen. Wegen der peniblen Kontrolle kam Unmut auf, weil die dort Wartenden teils mehr als eine Stunde brauchten, um den Einlass zu passieren. Eine temporäre Erhöhung der Ordnerzahl wäre sinnvoll und vom Platz her möglich gewesen, weil klar war, dass die ca. 1.400 StP-Fans im Pulk vor den Toren stehen würden. Außerdem kamen noch ein Bus mit Berliner StP-Fans und geschätzte 100 – 150 Individualreisende.

Rivalität und Feindschaft zwischen den Fankurven

Im Stadion „pflegte man“ die gegenseitige Abneigung. Seitens der StP-Fans kleine „We hate Hanse“ – Papierschals und „Scheiß Hansa“ und „How the Fuck is Hansa“-Rufe. Seitens des gleichfalls auf der Südtribüne liegenden Blocks der Hansa-Ultras „Scheiß-St.Pauli“-Sprechchöre, die fast alle dazwischen stehenden Hintertortribünen-Zuschauer mitriefen. Im Verlauf des Spieles viele Banner-Aktionen der Hansa-Ultras. „Pro Mieterhöhung Schanzenviertel“, „Wir scheißen auf die Politik – wir hassen euch aus Prinzip“, „Braune Kiste und weißer Zettel am Zeh – so reist St. Pauli von der Ostsee“, „Die braun-weiße Scheiße vom Millerntor“, „Nicht nur der Wind bläst stark Corny“ (oder so ähnlich), dann ein Spruch mit „linksfaschistoiden Hygienemuffeln“ sowie „Metros, die sich die Beine rasieren sollten“ und ein: „Hals und Beinbruch-“ Banner kommentierte eine St. Pauli-Puppe, die aus dem ersten Rang Richtung Innenraum gestürzt wurde. Ein Fanladenkollege bezeichnete dies als das „Geschmackloseste“, weil es wohl auf den lebensbedrohlichen Sturz eines St. Pauli-Fans in Aachen zu Beginn der Saison anspielte.

Im ursprünglichen Fanblock von Hansa auf der Nordtribüne zogen die dortigen Anhänger ein riesiges Banner hoch: „Rivalität ja – Gewalt nein!“ Kurz nach Anpfiff eine Art Feuerspirale (Sylvesterartikel) /Böller (Wahrnehmung FP Rostock) aus dem StP-Block Richtung Hansfans, die hinter Ordnern und Polizeikette standen. Polizei und Ordner hatten den Gästeblock nach links ca. 5-8 Meter vor der Trennscheibe abgesperrt, rechts auf der Gegengerade noch großzügiger. Nach dem zwanzigminütigen Supportboykott der StP-Fans (Protest gegen Montagsspiele) in der ersten Halbzeit sogar klassischer Fankurvensupport (statt Ultra-Singsang), gemischt mit einigen Anti-Hansa-Sprechchören, offenbar auch von den Einheimischen respektierend aufgenommen. So jedenfalls mein Eindruck aus dem StP-Block heraus. In der Halbzeit wechselte ich die Seiten und ging in die Mitte der Hintertortribüne zwischen Gästeblock und Hansa- Ultra-Bereich. Diese befanden sich ja im kompletten „Supportboykot“. Sie riefen nur zwei Mal etwas gegen den Sicherheitschef von Hansa, Herr Hübner und wenige „Anti-St. Pauli“-Rufe. Ansonsten nur Banner und auf der gegenüberliegenden Seite einige zaghafte Anfeuerungsrufe der anderen Fans.

Eskalation in der 2. Halbzeit

Nach dem Führungstor (2. Halbzeit) erst im Gästeblock Pyro, Rauch und Böller, dann wurden aus dem Bereich der StP-Fans mindestens zwei Bengalos mitten in den Hansa-Bereich (ca. 21:50 Uhr) reingeworfen. Das sorgte für empörte Aufregung und mindestens die Hälfte des Ultrablockes leerte sich schlagartig. Mehrere hundert Hansafans versuchten nun im Stadionumlauf, unten, wie im ersten Rang Richtung Gästefans zu stürmen. Es kam zu großem Durcheinander, weil besorgte Fußballbesucher nun raus wollten und andere rein. Dazwischen massiv Polizei, der es letztlich wohl auch zu verdanken war, dass kein massiver Angriff der aufgebrachten Rostocker gelang. Teils standen die Polizisten in 3-5-Mann Ketten hintereinander gestaffelt. Zudem fand sich offenbar auch keine ausreichend organisierte kritische Masse, die dies zentral versuchte. Das Durcheinander auf den Rängen (dicht gedrängt stolperten viele über die Sitzreihen) war kritisch, beruhigte sich glücklicherweise aber wieder. Nach dem zweiten Tor für St. Pauli machte die Nr. 23 der Hamburger, Deniz Naki, eine „Halsabschneider“- Bewegung Richtung Hansafans, was offenbar im Stadion nicht allzu viele sahen. Im Fernsehen wurde das gezeigt und vom St. Pauli-Trainer missbilligend kommentiert. Zusätzlich angeheizt wurde die Rivalität beider Lager noch durch denselben Spieler, der eine braun-weiß-rote St. Pauli-Fahne (die er aus dem Fanblock hatte) kurz vor der Eckfahne beim Nachspieljubel in den Stadionrasen rammte. Diese „Besitznahme“-Geste kam bei den noch im Stadion verbliebenen Hansaanhänger auch leider genauso an. Ein Spieler von Hansa eilte hinzu und machte offenbar die feiernden St. Paulianer auf diesen Fauxpas aufmerksam.

Nach Abpfiff vor der Nordtribüne

Massive Polizeiabsperrungen verhinderten nach Abpfiff, dass beide Fanlager aneinandergerieten. Die Hansa-Ultras hätten weit vom Ausgang Südtribüne laufen müssen, um in die Nähe des Gästeausgangs zu kommen. Allerdings spielten sich vor der Nordtribüne dieselben Szenen, wie beim letzten Mal ab. Dort versammelten sich vor allem junge Hansafans, gemischtes Publikum von der Nordtribüne, viele Schaulustige vor den Polizeiketten und Wasserwerfern, welche die Straße Richtung Gästeabmarsch abriegelten. Nach einigen Flaschenwürfen und Böllern machte die Polizei ihre Ankündigung wahr und setzte Wasserwerfer ein (ca. 22:25 Uhr). Wegen fortgesetzten Würfen, wurden auch Ausfälle gemacht. Es kam zu Verletzten auf beiden Seiten, alsbald wurde dann der gesamte Vorplatz geräumt und die Hansafans in die Seitenstrassen abgedrängt.

Gästeeskorte zurück zu den Sonderzügen

Die StP-Fans wurden kurz vor 23 Uhr dann aus dem Block über die abgesperrten Strassen bis zum S-Bahnhof Parkstrasse gebracht. Während des Halts in HRO, durchsuchte Bundespolizei mit Sprengstoffhunden den Zug nach Pyro-Material, so die Auskunft der Fanladen-Ordner, die im Zug verblieben waren. Die Gästeanhänger verließen – so die SMS-Auskunft eines FP-Kollegen aus dem zweiten Zug – nach anfänglichem Chaos (falscher Zug war eingefahren bzw. ungenügende Absprachen zwischen vereinsinternem Ordnungsdienst und Polizei) die Stadt unbeschadet.

Abschließend noch einige persönliche Einschätzungen:

  • Die Polizei trennte konsequent und somit auch erfolgreich beide Lager beim An- und Abmarsch der Gäste. Zudem wurde die Begleitung besonnen und ohne unnötige Kraftmeierei betrieben.
  • Die Reglung mit dem Gästeeingang sorgte am Stadion für Entspannung, sprich der Gästeeinlass konnte ungestört durchgeführt werden – allerdings dauerte er auch recht lange. Die zeitlich parallele Absperrung für Heimfans, die beim benachbarten Eingang rein wollten, war aber offenbar nicht kommuniziert worden und sorgte für die geschilderte Aufregung bzw. Auseinandersetzung.
  • Die Polizei und die Ordner verhinderten im Stadion Schlimmeres, als wegen der in den Heimfanbereich geworfenen Bengalos viele Einheimische Richtung Gäste stürmten. Aus meiner Sicht war das die gefährlichste Situation des Abends. Um ihr körperliches Wohl besorgte Fußballfans wollten das Stadion schnell bis fluchtartig verlassen, empörte und auch gewaltgeneigte Hansa-Fans strömten entgegen und alle miteinander stolperten sie über die Sitzreihen, drückten gegen die Eingänge.
  • Die Auseinandersetzung vor dem Stadion, die nun medial so große Aufmerksamkeit findet, war eine mit „Ansage“. Vergleichbar mit dem 1. Mai in Berlin, Sylvesterkrawallen in Dresden oder Göttingen oder Ähnliches. Man stelle zwei Wasserwerfer in eine Strasse, postiere eine Polizeikette drum herum und irgendwann finden sich genug Jugendliche, die gern ihr „Mütchen kühlen“ möchten. Erst wird geschimpft, dann Böller geworfen, die Polizei kann sich das verständlicherweise nicht gefallen lassen und dann hat man diese Art der Auseinandersetzung. Sie ist alternativlos, weil die Absperrung sinnvoll war. Womöglich hätte man das seitens der Polizei etwas anders, offensiver kommunizieren können, womöglich mit dem Einsatz von Kommunikatoren und den Wasserwerfern nur in Bereitschaft und nicht so präsent… Diese Auseinandersetzungen waren weder ein geplanter Durchbruch zu den Gästen, noch handelte es sich um „Ultra-Gewalt“ gegen Polizisten. Vielmehr entluden sich dort auch soziale und persönliche Spannungen, die mit dem eigentlichen Anlass, dem Fußballspiel, nichts zu tun haben.

Volker Goll für die KOS
4.11.2009